Ein Blick in die Geschichte des § 218 in Deutschland:
Seit 1871 stellt der Paragraf 218 des Strafgesetzbuches Abtreibungen grundsätzlich unter Strafe. Angedroht wurden bis zu fünf Jahre Zuchthaus, mindestens aber sechs Monate Gefängnis. Als einzige Ausnahme von diesem Verbot ließ die Justiz seit 1927 Abtreibungen aus medizinischen Gründen zu.
In der Weimarer Republik kam es immer wieder zu Versuchen von Frauenrechtlerinnen, der SPD und der Kommunist*innen, den „Schandparagrafen“ zu reformieren oder auch ganz abzuschaffen, was jedoch immer wieder scheiterte.
Im Nationalsozialismus kam es dagegen zu weiteren Verschärfungen bis hin zur Todesstrafe für Abtreibungen bei „Volksdeutschen“ auf der einen Seite; Abtreibung galt als Gefährdung des „Volkskörpers“. Auf der anderen Seite waren Zwangsabtreibungen, oft kombiniert mit Zwangssterilisationen, bei Jüd*innen, Sinti*zze, Rom*nja und anderen Menschen, deren Leben als unwert galt („Asoziale“, „Erbkranke“, „Geisteskranke“ und weitere) legitim und gefordert.
Nach dem Ende des Nationalsozialismus wurde der Abtreibungsparagraf 1949 fast unverändert zu 1927 in das Strafgesetzbuch der gerade gegründeten Bundesrepublik übernommen. Die zwischenzeitlichen Verschärfungen der Strafandrohung im „Dritten Reich“ hatten die Besatzungsmächte nach dem Krieg wieder aufgehoben.
Umkämpfte Kompromisse: Fristenlösung und Indikationslösung
In der DDR wurde bereits 1972 die Fristenlösung eingeführt.
Im Zuge der Frauenbewegung der 60er und 70er Jahre in der BRD nahm die Abtreibungsdebatte wieder Fahrt auf. 1971 fand die Titelseite des STERN in der westdeutschen Öffentlichkeit große Aufmerksamkeit: Hier bekannten damals 374 Frauen, darunter Prominente wie Senta Berger und Romy Schneider, dass sie abgetrieben hatten – ein Tabubruch.
Die sozialliberale Koalition stellte sich in der Folge das Ziel, den Abtreibungsparagrafen zu reformieren.
Am 26. April 1974 verabschiedete der Bundestag mit Stimmen von SPD und FDP die Fristenlösung (Bundeskanzler Willy Brandt stimmte nicht mit, er verließ während der Abstimmung den Plenarsaal). Doch der Erfolg währte nur kurz:
193 Abgeordnete aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sowie fünf konservative Landesregierungen legten beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen die Gesetzesreform ein. Am 25.Februar 1975 kippte das Verfassungsgericht das Gesetz. Das Gericht begründete, das Recht auf Leben beziehe sich auch auf das werdende Leben im Mutterleib. Der Schutz des sich entwickelnden Lebens ergebe sich aus Artikel 1 des Grundgesetzes, wonach die staatliche Gewalt die Würde des Menschen zu schützen hat. Der Embryo sei nicht nur Teil des mütterlichen Organismus, sondern ein selbständiges menschliches Wesen. Dies dominiere über das Recht der Schwangeren auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit Artikel 2).
In der Folge es kam stattdessen zu einer Indikationslösung (medizinische, soziale, eugenische und kriminologische Indikation).
Einen weiteren Höhepunkt erlebte die Abtreibungsdebatte nach der Wiedervereinigung. Am 26. Juni 1992 verabschiedete der Bundestag ein Gesetz zum Schutz des vorgeburtlichen/werdenden Lebens, zur Förderung einer kinderfreundlicheren Gesellschaft, für Hilfen im Schwangerschaftskonflikt und zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs (Schwangeren- und Familienhilfegesetz). Dies sah eine deutschlandweite Fristenregelung mit Beratungspflicht vor. Am 4. August 1992 verhinderte das Bundesverfassungsgericht erneut das Inkrafttreten des Gesetzes, also eine straffreie Fristenlösung. Die Menschen der Neuen Bundesländer verloren dadurch ihr seit 1972 geltendes Recht.
Rechtswidrig, aber straffrei:
Nach der heute gültigen Regelung ist ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig:
§218 (1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Der Schwangerschaftsabbruch bleibt straffrei, wenn er innerhalb der ersten 12 Wochen nach der Empfängnis stattfindet. Eine Konfliktberatung in einer staatlich anerkannten Beratungsstelle und dreitägige Wartezeit nach der Beratung ist vorgeschaltet. Nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung ausdrücklich, wenn eine medizinische oder kriminologische Indikation vorliegt.
Die aktuelle Entwicklung
Im Zusammenhang mit der Verurteilung von Kristina Hänel und anderen Ärzt*innen wegen Verstoß gegen §219a („Werbeverbot für den Schwangerschaftsabbruch“) und der Streichung des § 219a aus dem Strafgesetzbuch im Juni 2022 lebte die Diskussion um den §218 erneut auf.
Zwischenzeitlich wurde im Juni 2021 der Zugang zu dem Prostaglandin Misoprostol (Cytotec®) eingeschränkt. Das Medikament zählt laut WHO zu den essentiellen Medikamenten und wird in der Frauenheilkunde nicht nur beim Schwangerschaftsabbruch eingesetzt. Das führte zu einem offenen Protestbrief nahezu aller an der gynäkologischen Versorgung Beteiligten.
Die Ampel-Regierung setzte auf öffentlichen Druck hin eine Expert*innenkommission ein, die Regelungsvorschläge zu reproduktiven Rechten und Schwangerschaftsabbruch erarbeiten sollte.
Zudem wurden von der Regierung eine bereits von der Vorgängerregierung durch den damaligen Gesundheitsminister Spahn finanzierte, breit angelegte Studie realisiert und thematisch neu gefasst, die die Erfahrungen und Lebenslage ungewollt Schwangerer in Deutschland erforschen sollte. Aus der Spahn-Studie wurde die ELSA Studie.
Ebenfalls im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages wird seit 2022 die CarePreg-Studie durchgeführt. Sie untersucht die Erfahrungen und Bedürfnisse von unbeabsichtigt Schwangeren in der Beratung und in der medizinischen Versorgung.
Im April 2024 veröffentlichte die Expert*innenkommission ihre Ergebnisse. Sie empfiehlt einstimmig, den Paragrafen 218 aus dem Strafgesetzbuch zu streichen, eine Fristenlösung bis mindestens zur 12. Schwangerschaftswoche einzuführen und die Pflichtberatung in Frage zu stellen, bestenfalls zu streichen, jedoch ein umfassendes Beratungsangebot zu gewährleisten. Sie übernimmt damit die wesentlichen Empfehlungen der WHO von 2022 und der UN Frauenrechtskonvention CEDAW.